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Erste Österreich-Umfrage zur Wahrnehmung von ME/CFS

WE&ME Foundation initiierte erste repräsentative Befragung der Bevölkerung

Rudolf Anschober (Bundesminister a.D.), Christoph Hofinger, (Foresight), Gerhard Ströck (Ströck), Kathryn Hoffmann (MedUni Wien), Michael Stingl (Mediziner)Foto: Christian Jobst

Postvirale Erkrankungen sind eine Gruppe von schweren, meist chronischen Multisystemerkrankungen, die in vielen Fällen als Folge von akuten Viruserkrankungen entstehen. Eine besonders schwere Ausprägung ist ME/CFS (Myalgische Enzephalomyelitis/Chronisches Fatigue-Syndrom). Die Covid-Pandemie hat die Zahl der Betroffenen stark erhöht.

Viele Betroffene erleben zahlreiche Versorgungslücken

Die von der Familie Ströck gegründete WE&ME Foundation kämpft für einen raschen Ausbau der Forschungsinvestitionen, eine gute medizinische Betreuung und soziale Absicherung der Betroffenen. Dafür wurde ein breiter Arbeits- und Gesprächsprozess betroffener Organisationen gestartet. In Gesprächen mit Ministerien, Ländern und wichtigen Teilen des Gesundheitssystems wird auf Verbesserungen gedrängt.

Als weiteren Schritt der Arbeit hat die WE&ME Foundation das Foresight-Institut mit der ersten repräsentativen Befragung der Bevölkerung beauftragt. Die Ergebnisse zeigen, dass viele von länger anhaltenden Gesundheitsproblemen nach Infektionen betroffen sind. Eine große Mehrheit der Bevölkerung fordert rasche Verbesserungen der Unterstützung der Betroffenen. Die WE&ME Foundation appelliert an die Politik in Bund und Ländern, diese rasch umzusetzen.

„Meine Familie ist seit 2016 mit dem Kürzel ME/CFS konfrontiert – zwei meiner drei erwachsenen Söhne leiden an dieser seit 1969 von der WHO anerkannten Krankheit. Bei meinem jüngsten Sohn Christoph wurde diese Krankheit im Jahr 2016 an der Universität Stanford in Kalifornien diagnostiziert. In Österreich wurde Christoph zuvor auf Depressionen behandelt. Da es ihm in dieser Zeit ständig körperlich schlechter erging, wählte er den Weg in die USA. Zu dieser Zeit war in Österreich das Kürzel ME/CFS nur den wenigsten – auch Ärzten – bekannt. Durch Recherchen und internationale Netzwerke entstand schrittweise ein Grundwissen bei Menschen, die krank waren und nicht wussten, was die Ursache dafür ist. 2018 erkrankte mein Sohn Philipp – ebenso an denselben Symptomen wie Christoph. Seither sind beide arbeitsunfähig“, berichtet Unternehmer und Stiftungsvorstand Gerhard Ströck. Er ergänzt: „Meine Familie lebte in ständiger Angst und Unsicherheit in der Sorge um unsere Söhne. Teile der Ärzteschaft zeigten wenig Interesse an dieser Krankheit. Auch etliche Politiker in Bund und Ländern sowie zahlreiche Verantwortliche in den zuständigen Körperschaften bekundeten in den vergangenen Jahren wenig Interesse. Immer wieder vernahm ich den Satz, dass es dafür kein Budget gäbe. Für mich eine beschämende Situation – in diesem wunderbaren Land; in meiner Heimat – so behandelt zu werden. Es geht nicht nur um meine Familie, sondern zigtausende Menschen sind in Österreich betroffen. Diese Patientinnen und Patienten sowie ihre Angehörigen müssen endlich ernst genommen werden. Wir haben daher als Familie die WE&ME Foundation gegründet, um mehr Forschung und eine bessere Betreuung der Betroffenen durchzusetzen.“

Bis zu 80.000 Betroffene allein in Österreich

ME/CFS ist eine schwerwiegende, chronische Multisystemerkrankung, die geschätzt zwischen 26.000 und 80.000 Menschen in Österreich betrifft und somit eine verhältnismäßig häufige Erkrankung ist. Auslöser sind unter anderem virale Infekte, wie Covid-19 (SARS-CoV-2). Durch die Corona-Pandemie wird vermutet, dass sich die Zahl der Erkrankten verdoppelt hat und durch weitere Infektionen mit SARS-CoV-2, aber auch andere Erreger wie Epstein-Barr-Virus oder Influenza, weiter ansteigen wird. Klinisch charakterisiert ist ME/CFS durch eine pathologische Aktivitäts-/Erholungsantwort und physiologischen Energiemangel (Post-Exertional Malaise), Schlafstörungen, Schmerzen, neuro-kognitive Beeinträchtigungen und zum Teil extreme Reizempfindlichkeit (Licht, Geräusche, Berührungen) sowie Störungen des autonomen Nervensystems, des Immunsystems und der Neuroendokrinologie.

ME/CFS stellt sowohl für Patienten als auch für das Gesundheitssystem eine enorme Herausforderung dar. In schweren Fällen sind Patienten bettgebunden und vollständig auf externe Pflege angewiesen. Das Leitsymptom von ME/CFS ist die Post Exertional Malaise (PEM), wo es nach oft geringer Anstrengung zu einer sehr deutlichen Verschlechterung des Zustandes kommt. PEM grenzt ME/CFS deutlich von Fatigue (Erschöpfung), die im Rahmen vieler Erkrankungen vorkommt, ab. Wegen PEM ist das Herangehen an ME/CFS auch anders als bei den meisten anderen Erkrankungen. Trainings-/ oder Aktivierungstherapie kann oftmals negative Folgen haben, wenn die Grenzen überschritten werden.

Da ME/CFS bisher kein verpflichtender Teil der medizinischen Ausbildung ist und auch im Rahmen der ärztlichen Weiterbildung oft vernachlässigt wird, kommt es noch immer häufig zur Verwechslung/Vermischung von ME/CFS mit chronischer Fatigue und/oder psychiatrischen Erkrankungen mit für die Patienten schwerwiegenden Folgen. Das führt auch dazu, dass die medizinische Versorgung mehr als lückenhaft ist.

Michael Stingl, Neurologe und Pionier für die Behandlung von ME/CFS-Patienten in Österreich, ist zufällig auf ME/CFS gestoßen. Christoph Ströck war sein erster Patient. „Wenn man sieht, wie es um die Versorgung von ME/CFS steht, kann man nicht mehr wegsehen“, so der Mediziner. Seine Ordination ist seither zunehmend überlaufen und er bettelt um Konkurrenz, weil zu viele Betroffene vor einem medizinischen und sozialen Nichts stehen.

Kathryn Hoffmann, Leiterin der Abteilung für Primary Care Medicine an der Medizinischen Universität Wien, Versorgungsforscherin und Ärztin, fügt hinzu: „Die aktuelle medizinische und soziale Versorgungssituation für ME/CFS-Patientinnen und -Patienten in Österreich ist inakzeptabel. Es fehlt an spezialisierten Behandlungszentren und auch spezifischen Krankenhausbetten, wo die komplexen medizinischen Bedürfnisse dieser Patientinnen und Patienten transdisziplinär diagnostiziert und behandelt werden können. Die Zahl dieser Anlaufstellen im öffentlichen Gesundheitssystem in Österreich ist derzeit null!“

Und sie stimmt mit ihrem Kollegen Stingl überein, dass es grundsätzlich an aktuellem Wissen zu dieser Erkrankung in der Ärzteschaft fehlt. Durch die Erarbeitung des DACH-Konsensus-Statements zu ME/CFS und dem ME/CFS-Praxisleitfaden stehen aber nun seit 2024 praktikable und wissenschaftlich hochwertige Empfehlungen bereit. Diese Dokumente bieten wichtige Orientierungshilfen für Ärzte und verbessern die Genauigkeit der Diagnose sowie die Qualität der Behandlung und vor allem auch die medizinisch korrekte Begutachtung der Menschen.

Der Bedarf an verbesserter Versorgung und spezialisierter Behandlung ist dringend. Die Mehrheit der Erkrankten steht in der Mitte ihres Lebens. Daher gehen bei dieser Erkrankung nicht nur Leben kaputt, sondern es entsteht auch ein enormer volkswirtschaftlicher Schaden. Studierende der Wirtschaftsuniversität Wien haben die sozioökonomischen Kosten der Krankheit ME/CFS für Österreich auf eine Summe von rund 2,75 Milliarden Euro geschätzt. Den Kosten stehen genau null Euro offizielle Forschungsförderung gegenüber. Eine Investition in Behandlungsstrukturen und die Erforschung eines Heilmittels würde sich auszahlen, sowohl für die Betroffenen als auch für die Volkswirtschaft.

Langanhaltende Beschwerden nach Infektionen sind in der Bevölkerung weit verbreitet

„30 Prozent der Menschen in Österreich berichten von länger anhaltenden Gesundheitsproblemen nach Infektionen, sieben Prozent der Gesamtbevölkerung sind davon bis heute betroffen“, analysiert Foresight-Direktor Christoph Hofinger.

Hochgerechnet auf die erwachsene Bevölkerung sind das rund eine halbe Million Menschen in Österreich, die bis heute als Folge von zurückliegenden Infektionen mit starken Gesundheitsproblemen kämpfen.

„Für die große Mehrheit von 84 Prozent der österreichischen Bevölkerung ist klar: ME/CFS ist eine ernstzunehmende Erkrankung“, so Hofinger.

Eine mögliche Erkrankung wäre bei den Befragten mit zahlreichen gesundheitlichen, sozialen und wirtschaftlichen Sorgen verbunden. Hofinger weist auf die soziale Dimension bei ME/CFS hin: „Menschen mit geringem Einkommen haben größere Sorge, an ME/CFS zu erkranken.“

Wer weniger Einkommen zur Verfügung hat, sei auch weniger zuversichtlich, dass ihm im Fall der Fälle rasch geholfen werden könnte.

74 Prozent der österreichischen Bevölkerung stimmen sehr oder eher zu, dass ME/CFS jeden treffen könne.

„Eine große Mehrheit vertritt daher auch folgerichtig die Ansicht, dass Österreich mehr tun sollte, um erkrankten Menschen zu helfen“, führt Hofinger weiter aus.

Viele einzelne Maßnahmen werden von jeweils mindestens drei Viertel der Bevölkerung unterstützt, von besserer sozialer Absicherung Betroffener über die Errichtung von Anlaufstellen bis zu mehr Förderung von Forschung, neuen Therapien und der Weiterbildung von Ärzten.

„Mit meiner Unterstützung hat die WE&ME Foundation seit Jahresbeginn einen breiten Stakeholderprozess gestartet, der regelmäßig 30 Vertreterinnen und Vertreter von betroffenen Organisationen und Institutionen von der Selbstorganisation der Betroffenen bis zur PVA, von der Gesundheitskasse bis zum Gesundheits- und Sozialministerium und der Stadt Wien zusammenbringt. Unser Ziel ist es, innerhalb eines Jahres die Weichen für eine verstärkte Forschung und eine gute medizinische Betreuung für alle Betroffenen zu stellen. Wir freuen uns darüber, dass der Gesundheitsminister ein Referenzzentrum und die Erarbeitung eines nationalen Aktionsplanes in die Wege geleitet hat und sind gespannt auf die Umsetzung. Wir appellieren an alle Bundesländer, in ihrem Bereich Kompetenzzentren für die Behandlung Schwererkrankter zu schaffen. Es braucht eine gute medizinische und pflegerische Betreuung aller Betroffenen. ME/CFS muss rasch in die Ausbildung und Weiterbildung von Ärztinnen und Ärzten sowie Gutachterinnen und Gutachtern und in der Pflege verankert werden. Wir rufen die Bundesregierung schließlich dazu auf, wirksame Forschungsinvestitionen in ME/CFS und eine effiziente soziale Absicherung der Betroffenen zu verwirklichen. Es braucht ein funktionierendes Case- und Care-Management für alle Erkrankten und eine gute öffentliche Information über die Erkrankung. All diese notwendigen Schritte sollen rasch in den Zielsteuerungskommissionen der Länder und des Bundes beschlossen, verankert und umgesetzt werden“, so Rudolf Anschober, Autor, Berater und Gesundheitsminister a.D., abschließend.

Weitere Informationen auf weandmecfs.org

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